Aupair und ES
Huhu,
ich bin gerade als Aupair in Südeuropa und versuche mal ein bisschen meine Erfahrungen zusammenzufassen.
Mit der Bewerbung hatte ich keine Probleme, ich hab privat gesucht ohne richtige Agentur und dann spontan innerhalb von ein paar Wochen entschieden zu fahren.
Auslöser, dass ich den Aufenthalt machen wollte, war gerade meine ES, ich ahnte schon, dass ich mich mit meinem Essverhalten irgendwann umbringen würde, wenn sich nichts änderte. Und weil gerade meine Mutter und meine Schwester mich sehr negativ beeinflussten, wollte ich nur noch weg.
Und dachte mir außerdem, wenn ich Zeit mit Kindern verbringen kann, dann zeigt mir das wieder etwas vom wirklichen Leben, weil ich zu der Zeit ziemlich isoliert war und praktisch nur in meinen eigenen Gedanken lebte.
Ich hatte beschlossen, die ES hinter mir zu lassen, einfach in Deutschland zurückzulassen.
Ich reiste mit etwas über mittlerem Normalgewicht an, hatte vorher schon zu viele FA gehabt.
Naja, nichtmal die erste Woche ging wirklich gut, dann kamen wieder die ersten FA. Nicht so groß, aber dafür permanent. Zuerst hungerte ich zum Ausgleich, wie ich es jahrelang und immer gemacht hatte, dann erinnerte ich mich daran, dass ich gesund sein wollte und ließ das Hungern.
Aber das Fressen nicht, denn es wurde stressig. Die lieben Kleinen hatten ihre erste große Austestphase und schrien rum und erzählten mir, dass sie mich nicht mochten.
Ich ließ es über mich ergehen, und auf dem Weg zur Sprachschule kaufte ich ein und betäubte meinen Frust mit Essen, viel und ungesund.
Dann kamen die Vormittage, wo ich allein zuhause war und Hausarbeit machen musste. Es gab Berge von Wäsche, die Küche war unordentlich und die Vorratsschränke waren gefüllt. Und was machte ich: Ich fraß.
Ich entwickelte ein Scheißegalgefühl, ich dachte mir, lange halte ich es eh nicht aus mit den Anfeindungen der Kinder, also macht es nichts, wenn ich zunehme, ich kann ja danach in Ruhe wieder abnehmen.
Und fraß weiter. Und wurde übergewichtig.
Fing zwischendurch wieder an mit Kotzen, nicht nur, weil ich fett wurde, sondern vor allem, weil mein Bauch von den Essmengen so weh tat und ich es loswerden wollte.
Inzwischen änderte sich die Situation, die Kindern gewöhnten sich an mich, und alles war toll. Nur ich war fett.
Und nun, da ich bleiben wollte, fing ich an, abzunehmen.
Erst noch vernünftig, mit viel Gemüse, viel Sport.
Dann kam wieder Stress, Alleinsein, FA. Und ich ging wieder kotzen. Und hatte Angst, nicht mehr abzunehmen, also schränkte ich mich weiter ein. Irgendwann war ich wieder so gefangen in der ES, dass ich kaum noch etwas zu mir nahm, also entweder ein FA mit Kotzen, der auch immer kleiner wurde mit der Logik, du kotzt ja eh, also brauchst du auch nicht so viel Essen zu verschwenden, oder ein bisschen Obst und Gemüse, und an freien Tagen auch mal nichts. Wenn die Kinder oder die Familie dabei waren, aß ich vernünftiger wegen Vorbildfunktion, und sonst unter aller Sau.
Jetzt bin ich gerade so weit, dass ich mir sagen kann, ich hab wieder Normalgewicht, also darf ich wieder ein bisschen mehr zu mir nehmen (seit gestern, ich hoffe, das bleibt jetzt so), jetzt im Sinne von fast normaler Diät, tendiere nicht mehr gegen null Kalorienaufnahme, wie es die letzten Wochen der Fall war.
Also es war jedenfalls eine heftige Erfahrung, die ES war definitiv nicht geheilt, sondern sehr deutlich ausgeprägt, trotzdem bin ich froh, dass ich es mache, denn ich bin zumindest nicht mehr so isoliert wie vorher, lerne ständig neue Leute kennen, habe gezwungenermaßen Sozialkontakte und eine gewisse Tagesstruktur, habe eine sinnvolle Tätigkeit und eine Motivation, annähernd vernünftig zu essen, um den Kindern Vorbild zu sein und meine ES zu verstecken.
Diese Erfahrung sollte man sich nicht entgehen lassen, wenn man nur halbwegs gesundheitlich dazu in der Lage ist, ich habe so viel gelernt und sogar meine Oma meinte zu meinen Emails nach Hause, dass sie eine Entwicklung feststellen kann.
Aber es gibt so ein paar Punkte, wo man vorsichtig sein muss, ich würde zum Beispiel an deiner Stelle nicht zustimmen, zusätzlich zu den Kindern Hausarbeit zu machen, ok, es wird besser bezahlt, aber wenn man dann allein zuhause ist und einen Wust an Arbeit vor sich hat, kommen die bescheuertsten essgestörten Gedanken, während die Zeit mit den Kindern mich, seit sie keine Abneigung mehr zeigen, wunderbar ausgeglichen macht und ich die Gedanken ans essen/nichtessen/kotzen völlig vergesse, in dem Augenblick bin ich einfach nur ich, die spielt, um ein Kind glücklich zu machen, und sonst keiner, keine essgestörte, kein Zombie, einfach nur ich.
Und zu schaffen macht mir auch der kulturelle Unterschied.
Hier sind so viele Leute schlank und dünn, die zehn oder zwanzig Jahre älter sind als ich, während in meiner Heimat hauptsächlich Teenager vom Schlankheitswahn ergriffen waren. Konnte ich mich da also beruhigen, ok, ich bin über 20, ich muss nicht dünn sein, gilt das hier nicht mehr.
Und zwischendurch essen ist hier ziemlich verpönt, es gibt zwei gesittete warme Mahlzeiten und ein winziges Frühstück. Und gerade das war in Deutschland meine Hauptmahlzeit, wenn ich also klein frühstücke und denke, das liegt nur an der ES, dann ist das hier normal.
Also Südeuropa ist kritisch zu sehen, ok, du wolltest ja sowieso in die USA, oder?
Ich kann definitiv nicht sagen, dass ich es schon geschafft habe, meine bulimischen Attacken zu überwinden, bin grad wieder bei Tag zwei.
Aber sie nehmen nicht mehr meine ganzen Gedanken gefangen, solange ich mit den Kindern zusammen bin, sowieso nicht, und wenn die Familie zuhause ist, ist auch alles ok.
Allein Hausarbeit ist das einzige, was Probleme bereitet, also mach das besser nicht.
Such dir eine familie, wo du viel Zeit mit den Kindern zusammen bist und die Eltern auch nnicht durchgehend arbeiten, wie bei mir.
Und meide Länder, wo der Durchschnitt zu schlank ist.
Allerdings habe ich auch schon gehört, dass USA für Essgestörte schwierig ist, weil das ungesunde Essen da auch zu FA triggert und bulimisches Verhlatne bestärkt.
Guck vielleicht mal nach Nordeuropa oder England/Irland?
Innerhalb Europa ist es auch nicht so kompliziert mit der Bewerbung, da wird wegen Krankheiten und so gar nicht genau nachgefragt, ich wurde ausschließlich gefragt, ob ich eine Krankenversicherung habe, und das wars.
Also alles natürlich nur, wenn du dich selber in der Lage fühlst, auch Stress zu überstehen, und dich vor Kindern vernünftig verhalten kannst.
Ich wünsch dir alles Gute, schreib mich an, wenn du noch mehr wissen willst.
lg