LIebe Giuseppina
ich selbst kann dir gerade keinen guten Rat geben, Ich kann zwar seit inzwischen über 15 Jahren Anorexie (oh, man das klingt furchtbar :shy: ) inzwischen wieder ausreichend essen (1600 bis 2000 kcal), aber ich schaffe es einfach nicht, mich von dem gestörten Körperbild zu emanzipieren und finde mich nach Zunahme zur Zeit unsagbar dick und unförmig (obwohl ich objektiv gesehen noch immer im UG bin :FOU: ). Meine ehemalige Therapeutin würde jetzt wahrscheinlich sagen: ich kann mir immer noch nicht genug Raum und Gewicht zugestehen, muss mich immer noch zu stark kontrollieren ... aber ich schweife ab.
Habe gerade einen tollen Artikel gefunden, der mich sehr berührt hat, weil er zeigt wie schwach man sich selbst durch eine ES und das damit einhergehende Untergewicht macht. Warum nur will ich zart und zerbrechlich sein? Bin ich so schwach, dass ich einem objektiv betrachtet so maßlos unwichtigem Kriterium wie meinem Gewicht so viel Platz einräumen muss. Dort wo diese Gedanken herrschen, sollte wieder Platz sein für schönere, wertvollere, tiefgründigere Gedanken sein ... Das sollten wir uns eigentlich wert sein, für den ganzen Blödsinn wie Kalorien und Gewicht sollte uns unserer Lebenszeit eigentlich zu schade sein.
Befürchte ich kann dir gerade nicht helfen und hoffe es ist nicht schlimm, dass ich meinen "Seelenmüll" in deinem Thread abgeladen habe :shy: Eigentlich sollte ich seit Stunden schlafen, weil ich morgen sehr früh aufstehen muss und mich ein langer Tag erwartet, stattdessen und statt neben meinem Liebsten im Bett zu liegen beschäftige ich mich mit meinem gestörten Essverhalten :FOU: ... ich schweife schon wieder ab ...
Aber vielleicht berührt dich der Text ja genauso wie mich:
"Der eigene Körper ist der einzige Ort, an dem es Frauen heute möglich erscheint, maximale Kontrolle auszuüben: Indem sie minutiös kontrollieren und zum Teil sogar protokollieren, was und wie viel sie zu sich nehmen, bestimmen sie darüber, was mit ihnen geschieht und wie sie aussehen. Wenn sie mit diesem Projekt erfolgreich sind, dann ist der Preis, den sie dafür zahlen, ihre Präsenz und ihre Sichtbarkeit. Sie sind so dünn, dass sie beinahe verschwinden und zudem besessen von dem einen Thema: nichts oder nahezu nichts zu essen.
Wer immer nur Kalorien zählt, kann sich auf nichts sonst konzentrieren und wird ergo auch keinem gefährlich. Wer permanent den eigenen Hunger bekämpfen muss, kann aber auch keine Forderungen stellen und nichts durchsetzen. Warum lassen wir das mit uns machen? Warum opfern wir bereitwillig unsere Autonomie, unsere Intelligenz, unseren Platz in der Welt und unterwerfen uns dem Diktat von Körperlichkeit und Kalorienzählerei? Warum ist es auf einmal nicht mehr wichtig, wer man ist, was man denkt, weiß oder kann und nur: wie viel man wiegt?
Würde man an Verschwörungstheorien glauben, so könnte man vermuten, dass diese ganze Obsession mit dem eigenen Gewicht Teil einer großen Frauen-Verdummungs-Strategie ist. Wer Rohkost-Scheibchen abwiegen muss und sich zu Hause alles fettfrei selbst zubereitet, ist konsequenter an den heimischen Herd verbannt als eine Hausfrau in den 50er Jahren. Auf staksigen Beinchen lässt sich die Welt nicht so leicht erobern, und die Gedanken können einfach nicht kühn, frei oder dreist sein, wenn sie immer nur ums Thema Essen kreisen.
(Ich halte es jedenfalls für keinen Zufall, dass unsere Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard auch die Verfasserin mehrerer Kochbücher mit äußerst wohlschmeckenden, reichhaltigen Gerichten ist. Wer gut denken will, muss ordentlich essen.)
Also, was ist zu tun? Man könnte damit anfangen, den eigenen kritischen Blick abzuschalten, und zwar sowohl wenn er sich auf den eigenen Körper richtet, als auch, wenn er andere Frauen ins Visier nimmt. Das heißt ja nicht, dass man sich gleich komplett gehen lassen muss, aber das eine oder andere Kilo zuviel sollte uns nicht mehr aus der Fassung bringen oder in Selbstzweifel stürzen. Vor allem sollten wir nicht unsere gesamte Energie darauf verwenden, diese ein, zwei Kilo wieder loszuwerden.
Angesichts der übergewichtigen Kollegin oder der Mutter auf dem Spielplatz, die noch nicht wieder das Gewicht von vor der Geburt hat, sollten wir nicht auf die Idee kommen, dass diese Frauen auch sonst nichts auf die Reihe kriegen, nach dem Motto: Wenn die noch nicht mal ihr eigenes Gewicht in den Griff bekommt, was gelingt der eigentlich? Statt sie kritisch zu beäugen, könnten wir ein möglicherweise interessantes und inspirierendes Gespräch mit ihnen anfangen.
Wir sollten nach wie vor in der Lage sein, Jeanne Moreau und Marilyn Monroe hinreißend zu finden. Und die drei Frauen in Unterwäsche aus meiner Zeitschrift? Sehen aus, wie Frauen, die schon länger nicht mehr gut gegessen haben, halt aussehen. Kurzum: Wir sollten ganz einfach akzeptieren, dass die Körper so unterschiedlich sind wie die Menschen, die in ihnen stecken. Die Botschaft über all dem sollte aber lauten: Kilos sind nicht so wichtig. Es gibt unendlich viel Wichtigeres und Sinnvolleres im Leben."
(Annette C. Anton, EMMA 2/2008)
Alles Liebe
Traumverloren