Ich versuche in letzter Zeit, mir durch Schreiben alles von der Seele zu reden. Hab schon 15 Seiten getippt. Hier mal ein Auszug, in dem ich von früher erzähle (alles so 1-2 Jahre her). Ich weiß ich bin krank, hab auch an manchen Stellen etwas übertrieben, und an manchen Stellen dargestellt, wie es vielleicht enden könnte (Selbstverletzung) und es wird auch einen Gegenteil mit Happy End geben, aber muss es jetzt mal loswerden:
Ich betrachte mein Gesicht in dem schmutzigen Spiegel. Fahl, greisig blickt es mir entgegen, bis ich es nicht mehr ertrage und der Spiegel auf dem Boden zerspringt. Im Zwiespalt zwischen Lachen und Weinen setze ich eine der Scherben an der Oberseite des Handgelenks an und schlitze meinen Unterarm bis zum Ellenbogen auf. Der Schnitt ist erst weiß, ehe er in roter Farbe versinkt, die jetzt auf den grauen Parkettboden tropft.
Erlaube mir mich vorzustellen. Mein Name ist Bulimie. Mein vollständiger Name ist Bulimia Nervosa, aber du kannst mich Mia nennen. Ich hoffe, wir werden gute Freunde.
Drei Jahre zuvor war es absurd, krank, durch. In unserer Schülerzeitung prangte der Text unter der Überschrift Essstörungen. Ich las ihn, legte ihn kopfschüttelnd beiseite und hielt die Verfasserin für gestört.
Ich war 13 Jahre alt. Ich war hübsch, ich war naiv. Zahlreiche junge Männer hatten mit mir ihren Spaß, meist auf sexueller Ebene. Schon bald war ich eine Schlampe, Freunde entpuppten sich zu Feinden, und ich wurde erst von meinem blauäugigen, pubertären Weg gerissen, als ich im alkoholischen Rausch auf der Matratze eines zehn Jahre älteren Bundeswehrabsolventen meiner Jungfräulichkeit entledigt wurde. Anstatt der Geborgenheit, nach der ich krampfhaft suchte, stieß ich nur auf grobe Geilheit, die ich wie in Trance über mich ergehen ließ, das öffnen meiner Hose, meines BHs. Wie er die Angst übersah, als er mir tief in die feuchten Augen blickte, während er in mich eindrang. Übersah, wie ich unbewusst innerlich zersprang. Ich will das nicht. Bitte lass mich gehen. Bitte.
Die, die davon wussten, scheinbare Freundinnen, sahen mir den Schmerz nicht an, sahen nur die Fassade eines seine Situation belächelndes Mädchens, süß, brünett, groß, schlank. Reue und Tränen schluckte ich runter, merkte nicht wie ich von innen aufgefressen wurde, und Mia nahm mich Stück für Stück in ihren Bann. Sie schien wie ein Licht am Ende des Tunnels, eine Freundin, die mich verstehen und mir helfen sollte, den Hass, den ich gegen meinen frühreifen Körper hegte, auszuspielen.
... Ich rede mit dir, aber du willst mir nicht zuhören. Darum schreib ich meine Gedanken auf meinen Körper, reiß meine Haut ab und ess sie auf, nur um auf dich zu scheißen du ... Du zerstörst mein ganzes Leben. Ich blute für dich. Ich wünschte du wärst niemals geboren.
Essen ist fertig. Wir wollen heute mal wieder alle gemeinsam essen. Wir. Alle. Wollen. Zahlen wirbeln mir durch den Kopf. Kalorien, Kilogramm, Bodymaßindex. Kritisch die vielen Töpfe voll Fett und Kohlenhydraten betrachtend setze ich mich zögernd an den Tisch. Erst als es mir schwer fällt, aufrecht zu gehen, komme ich zur Besinnung. Mir den schmerzenden Bauch haltend, betrachte ich meinen athletischen, sonnengebräunten Körper, rote Wangen, dunkle Augenringe, die weit Richtung Schläfe in tiefem Schwarz klaffen, glasige Augen. Ein verschwommenes Bild. Würgen. Dann Spülen.