Hallo ihr Lieben!
Ich würde gerne ein wenig (so wie ich mich kenne wird es wohl etwas länger, ich hoffe ihr habt geduld) von mir erzählen und viellecht sogar einigen Mut machen :)
Eben habe ich wieder gebannt einen Magersuchtsbeitrag auf Pro7 verfolgt und musste mit Erschrecken feststellen wie sehr mich das ganze immernoch mitnimmt.
Magersucht ist meiner Meinung nach kein Lebensabschnitt, den man so leicht hinter sich lassen kann.
Das starke Verständnis und Mitgefühl für die Betroffenen erschüttert mich immer wieder aufs neue, weil es mich immer an mich selbst erinnert. Immer wieder entdecke ich Aussagen und Gefühle die auf mein früheres Ich zu 100% zutreffen .
Nun aber zu mir:
Wie es ja bereits angeklungen ist habe ich meine Magersucht überwunden. Mein entgültiges Ziel habe ich immernoch nicht erreicht, aber dazu später mehr ;)
Zuerstmal muss ich sagen, dass ich wohl wahnsinniges Glück gehabt habe. Ich wurde fast genauso schnell gesund, wie ich in die Krankheit hineingeraten bin, weniger dramatisch war es dadurch aber trotzdem nicht.
Ich kann mich nicht erinnern bei all den Texten, die ich von Magersüchtigen gesehen habe ein so extremes Untergewicht gelesen zu haben, wie es bei mir der Fall war.
Bei einer Größe von 158 wog ich nurnoch 26 kilo, was ein BMI von ca. 10 ist! Das ist nun etwas über 1 jahr her.
Das ich heute noch am Leben bin habe ich einer ganze menge Glück, tollen Freunden und einer Tollen Familie zu verdanken. Nun dazu, wie es soweit kommen konnte..
Früher wog ich immer 47 kilo, konnte essen was ich wollte und war immer die, bei der gesagt wurde: "wie bekommt sie nur das ganze Essen in so einen kleinen Körper"
Fazit: ich war immer furchtbar verfressen und habe keinen Gramm dadurch zugenommen, egal wieviel Torte oder Schokolade ich verdrückt hatte .....
....bis ich anfing die Pille zu nehmen und ich irgendwann feststellen musste, dass meine Hosen nicht mehr passten, meine Oberteile auch irgendwie enger wurden und meine Mutter mich vorsichtig darauf aufmerksam machte, dass ich in letzter Zeit zugenommen hätte( ich fürchte dafür macht sie sich noch immer Vorwürfe). Ich selbst hatte das an mir erstmal garnicht festgestellt, denn die Waage war bis dahin für mich ein Fremdkörper und auf die Idee, dass ich dick werden könnte bin ich nie gekommen. Zu dick war ich zu dem Zeitpunkt immernoch nicht (ca. 52 kg) aber als ich schließlich auch mein Lieblingskleid nicht mehr zubekommen habe wurde ein Schalter in mir umgelegt.
Tag für tag habe ich mehr Kalorien eingespart. Während es anfangs zum Frühstück noch joghurt mit obst und müsli war, wurde zuerst das Müsli eingespart, dann der joghurt mit Wasser verdünnt, dann der Joghurt komplett weggelassen und zu guter letzt wurde das zuckerhaltige Obst wie Trauben, Äpfel und Bananen durch Erdbeeren und Papaya ersetzt. Bei den anderen Mahlzeiten lief es genauso ab. ....solange bis nurnoch Papaya und Gemüse (jedoch nur das kalorienärmste Gemüse wie z.B Chinakohl) übrig blieb. Gepaart mit täglichem Joggen war das fast mein Todesurteil.
Anfangs unterstützten mich meine Eltern noch und bewunderten meine Zeilstrebigkeit. Im Alltag haben sie garnicht gemerkt wie wenig ich eigentlich gegessen habe, da wir meistens Mahlzeiten nicht gemeinsam zu uns genommen haben. Ich bin damals noch zu Schule gegangen (ich bin übrigens 19) und meine Eltern haben lange gearbeitet.
Wirklich aufgefallen ist es ihnen erst in den Schulferien, da wurde es dann richtig dramatisch und auch das Familienleben wurde stark in Mitleidenschaft gezogen. Vor Allem mein Vater fing an verbote und Vorschriften aufzustellen, an mir rumzukritisieren und mein Essverhalten zu kontrollieren. War zwar gut gemeint, hat alles aber umso schlimmer gemacht. Jeh mehr er versuchte mich zu überzeugen Kalorien zu mir zu nehmen desto mehr wehrte ich mich dagegen.
Dann fing es mit den Lügen an mit denen ich versuchte meine Eltern zu beruhigen und das Essen umgehen zu können. Mein zu dem zeitpunkt bereits drastisches Untergewicht spielte ich vor meinen Eltern herunter und sagte immer, dass ich in der Schule bereits zu Mittag gegessen habe.
Während ich immer dünner wurde fiel mir mein Alltag immer schwerer. Meine Konzentration ließ nach, das Treppen steigen viel schwer, und trotzdem wollte ich keine Minute in der Schule verpassen und all meine Hausaufgaben in Perfektion erledigen. Was aufgrund des Konzentrationsschwundes oft die ganze Nacht beansprucht hat. Ich hatte keinen Spaß mehr an meinem Leben und
die einzigen Erfolgserlebnisse waren die ständig kleiner
werdenden Zahlen auf der Waage. Ich habe mich an diese Zahlen geklammert und habe so innerhalb von etwa 1/2-3/4 jahr von 52kg auf 26kg abgenommen.
Inzwischen unternahmen auch meine Lehrer Versuche mich auf mein kritisches Gewicht aufmerksam zu machen und drohten mir an mich nicht mehr in die Schule gehen zu lassen, weil sie die Verantwortung nicht übernehmen konnten (zu dem Zeitpunkt war Schulverbot das schlimmst was man mir drohen konnte weil so mein Versagen offiziell geworden wäre) Heimlich kontaktierten sie auch meine Freunde und alle versuchten mir zu helfen...wie das aber nunmal bei dieser Krankheit ist bewirkt jede versuchte Hilfe nunmal das Gegenteil. Meine Eltern waren inzwischen psychisch vollkommen fertig und dachten sie müssten mir beim sterben zusehen. Meine Mutter ließ sich von ihrem Beruf beurlauben weil sie nicht mehr dazu fähig war zu arbeiten. Mein "Glück" war es, dass ich schließlich bei einer Klausur zusammengeklappt war und meine eltern, freunde und Lehrer mich gemeinsam dazu überzeugen konnten stationär in eine psychosomatische Klinik zu gehen.
Das schlimmste für mich war es der Schule fern zu bleiben und zuerst bin ich nur unter der bedingung dort hingegangen, dass ich mal eine woche "hineinschnupper" und jederzeit wieder zurück kommen könnte.
Zwänge waren für mich zu der Zeit das aller Schlimmste.
Ziemlich schnell wurde aber klar, dass magersucht keine Krankheit ist, die man in einer Woche überwunden hat und das Versprechen meiner Eltern, dass ich jederzeit wieder nach hause kommen könnte entpuppte sich als Vorwand.
Die Wut war aber schnell verflogen, als ich merkte, dass mir in der Klinik mehr Freiheiten gelassen wurden als ich mir zu Hause erträumt hätte.
Es wurde vollkommen auf Eigenverantwortung gesetzt und von Regeln wurde dort nichts gehalten. Allein von regeln kann man sein Essverhalten nicht normalisieren, denn das muss man selbst im Kopf schaffen.
nach einiger Zeit in der Klinik habe ich mich wieder als Mensch, wieder wertvoll gefühlt. Das schwierige Verhältnis zu meinen Eltern wurde schnell entschärft, da die Klinik ihnen den Größten teil der Verantwortung abnehmen konnte.
Ich habe jeden Tag aufs neue in meinem Kopf Kämpfe mit mir ausgefochten...und ich bin stolz darauf sagen zu können: mein Gesundes Ich hat den Kampf gegen die Magersucht besiegt. Nach 10 Wochen konnte ich wieder Nach Hause, was erstmal wieder Probleme mit sich brachte, da ich nicht davon abzubringen war mein Abitur noch im selben Jahr zu machen. Insgesamt habe ich ein halbes Jahr in der Schule gefehlt, weshalb einiges nachzuholen war, zusätzlich zu der normalen Abiturlernerei.
Das war zwar nicht einfach, rückfällig bin ich aber trotzdem nicht geworden. Die Priorität lag seit dem Klinikaufenthalt immer bei meiner Gesundheit.
Mittlerweile studiere ich und wiege wieder 58 kilo.
Wie ihr seht, ich wiege mehr als jeh zuvor, eine Unangenehme Nebenwirkung von schlechten Angewohnheiten, die ich mir über die Monate angeeignet habe. Es ist nicht einfach bei seinem Wunschgewicht zu bleiben, wenn man die ganze Zeit darauf programmiert war zuzunehmen.
Mein hunger und Sättigungsgefühl funktioniert immernoch nicht richtig und insgesamt esse ich etwas zu viel. Ich möchte mir keine Vorschriften mehr machen was, und wie viel ich essen darf und daher bin ich über mein Gewicht hinausgeschossen. Aber eins ist mir jetzt klar: Das ist es mir wert! Ich bin glücklich, kann mich wieder Konzentrieren und bin auch mit einer kleinen Speckrolle 1000 mal hübscher als mit meinen abgemagerten ungesunden 26 kilo.
Mein Ziel ist es nicht mehr über Essen nachdenken zu müssen und ohne Zwänge mein Gewicht halten zu können.
Dieses Ziel habe ich noch nicht ganz erreicht, trotzdem denke ich, dass meine Geschichte Mut machen kann, denn ich bin mir sicher, dass auch der letzte Schritt noch zu schaffen ist.
Ich denke, ich habe in der Vergangenheit Willensstärke bewiesen und werde dies auch im weiteren Kampf um einen unbeschwertes Leben tun.
Es tut mir sehr leid, dass der Beitrag so lang geworden ist, aber es hat sehr gut getan sich mal alles von der Seele zu schreiben :) Glaubt mir, ich hätte noch 3 mal so viel schreiben können und es wäre nicht vollständig gewesen ;)
Meine körperlichen beschwerden habe ich fast komplett außen vor gelassen, denn ich finde das ist bei der Magersucht nicht das wesentliche. Ich denke es ist klar, dass ich bei einem BMI von 10 körperlich, wie psychisch völlig am Ende war (haarausfall, wassereinlagerungen, Atembeschwerden, Herzprobleme, Schlaflosigkeit...etc.).
Ihr glaubt garnicht wie unglaublich froh und dankbar ich bin, dass ich das hinter mir habe, meine Vergangenheit möchte ich aber trotzdem nicht ablegen denn sie hilft mir die wichtigen Dinge im Leben wertzuschätzen.
Ich würde mich sehr freuen wenn ein paar von euch sich die Zeit nehmen würden meinen ewig langen Text zu lesen, ich nehm es euch aber auch nicht übel, wenn nicht ;)
Wer sich gerne mit mir über seine Krankheit unterhalten möchte oder fragen hat: bitte melden! Ich sehe mich nicht als Vorbild, weil ich wie gesagt noch nicht ganz am Ziel bin, aber ich denke, dass ich einiges geschafft habe und auch gute Tipps geben kann!
liebe Grüße und viel Spaß beim lesen!