Ich weiß es zwar auch nicht ...
... aber ich glaube inzwischen, dass der freie Wille allein, sprich: die Selbstbeherrschung, die hier im reinen Aushalten des Unwohlfühlens bestehen würde, nicht immer so viel ausmacht und nicht immer so stark werden kann, wie man sie brauchen würde, um die Krankheit zu besiegen.
Darum sind jegliche Selbstvorwürfe völlig fehl am Platz.
Es ist verdammt viel "Chemie" im Spiel, Neurotransmitter, Hormone usw.
Ich glaube tatsächlich inzwischen, dass Serotonin, Dopamin, Adrenalin und Co. die wahren Herrscher über uns sind, der freie Wille hat zwar auch einen Einfluss, aber man sieht ja, wie der sich in Grenzen hält.
Ich war vor bald 30 Jahren zusammen mit einer Freundin in Therapie, und die Therapie fanden wir beide sehr nützlich und schwärmten von unseren neu gewonnenen Erkenntnissen über die Dinge der Seele ... Trotzdem ist meine Freundin gestorben ... und ich wurde gesund, bin seit vielen Jahren völlig frei von jedem Gedanken an Kalorien, Gewicht, Figur, Essen in mir ...
Ich habe Mann und sogar Kinder und bin glücklich, und ich würde Dir so gerne sagen, wie ich es gemacht habe ... aber ich weiß es nicht genau. Es gab neue Umstände unter denen es wohl einfach passiert ist. Ich weiß auch nicht, wie alt Du bist und ob Dir das nützt ...
Ich kann Dir aber sagen, was sich in meinem Leben damals verändert hatte:
1. Ich verliebte mich in einen Mann, der sich über jedes Extra-Pfund an mir freute - ich glaube die Serotonin-Ausschüttung durch das Verliebtsein hat die Hauptarbeit getan, ich liebte ihn und war einfach glücklich, dass er mich liebte - egal ob ich aß. Er kochte übrigens zweimal täglich für mich: jeden Morgen gab es Müsli mit Joghurt und Früchten und abends eine warme Mahlzeit, öfters mit Reis, Gemüse und Tofu.
Die Beziehung hielt drei Jahre, von denen ich nur max. ein halbes brauchte, um hinsichtlich meines Essverhaltens völlig gesund zu werden. Ich nahm dann sehr lange sehr, sehr viel zu, bis ich dann wieder etliche Kilo abnahm, ohne mein Essverhalten in all der Zeit zu ändern.
2. Ich hoffe, das gibt in diesem Forum keinen Ärger, und es ist daher keine Empfehlung, aber so war es eben bei mir, also: dieser Freund war ein Amerikaner und rauchte öfter mal Tabak mit Haschisch - damit blies er mich dann immer mal an. Es hatte ganz deutlich eine beruhigende Wirkung auf mich, in seiner Rauchwolke zu sitzen. Anschließend bekam ich zugleich mit einem Heißhungergefühl immer noch so eine herrliche mir-doch-egal-Stimmung beim Essen.
3. Plötzlich ging es nicht mehr um mich, sondern nur noch um das, was ich tue. Ich fand Erfüllung in allem, was mich selbstvergessen machte: Arbeit, Spiel, Lesen, Singen, ein paar erste Versuche auf der Gitarre, anderen Menschen zuhören. Ich konnte mich endlich in der Welt umsehen und den anderen Menschen widmen. Ich fühlte mich ab und zu wie ein Werkzeug in der Hand eines Höheren Etwas, das sich nützlich machen wollte und das größte Glück aus jeder kleinen Gelegenheit des Alltags zog, etwas zu geben. Ich aß in dieser Phase wieder öfter mal nichts und nahm wieder ein bisschen ab, aber einfach nur deshalb, weil ich das Essen vergaß... wenn ich dann wieder daran dachte, zu essen, empfand ich das als eine Fürsorge für mich selbst: Ich achte auf mich.
4. Ich habe seit vielen Jahren keine Waage. Werd mir bald mal eine zulegen, für die Kinder. Mein Gewicht ist mir so schnurz! Es ist ok, ich bin schlank, aber wäre ich fett, ich schwöre Dir, das würde mein Glück nicht schmälern.
Ich wünsche Dir so, dass Du es schaffst! Es mag eines Tages einen Umbruch geben, und plötzlich fällt es von Dir ab und Du lässt es hinter Dir ...
alles Liebe