Sie geht in die Küche. Sucht wie ein streunender Hund. Nach was sucht sie? Genau, nach Essen, genau wie besagter Hund. Mit dem Unterschied, dass sie nicht nach irgendeinem Essen sucht und. Außerdem hat sie keinen Hunger. Zumindest nicht wirklich. Bei ihr hat der plötzliche, unbedändige Wunsch nach Essen ganz andere Ursachen. Ursache, die sie sich eigentlich nicht eingestehen will. Sehr traurige Ursachen nämlich. Hier, die Semmeltüte und dort das Nutellaglas! Wie ein wochenlang unter der Dürre Afrika leidendes Kind stürzt sie sich auf die Nahrungsmittel- ihr Heroin, ihre Daily Dose, ohne die sie bald den Affen schieben würde. Semmel auf- einen Berg Nutella drauf und mit zwei drei hastigen Bissen verschlungen. Zweite Semmel. Dritte Semmel. Und vierte Semmel. Und dann ihre innnere Stimme, die sie schimpft, schon wieder ungeheure Mengen an kalorienreichem Essen zu verschlingen, Mengen die sich nur als lästige Fettpolster an ihren Oberschenkeln festsetzen werden. Nein! Dazu darf es gar nicht erst kommen. Sie rennt ins Bett, sperrt die Tür ab. Zuschauer wären das letzte, was sie jetzt gebrauchen könnte. Sie bindet die Haare zusammen. Schließlich will sollen sie nachher nicht nach Magensäure stinken. Finger in den Hals, tiefer und tiefer, bis sie kaum mehr Luft bekommt und zu husten anfängt. Aber sie kann den Finger jetzt nicht wieder rausziehen. Schließlich ist bisher noch gar nichts hinausgekommen, die ganze Bedrohung schlummert noch in ihrem Inneren. Also muss ein Hilfsmittel her. Sie greift hinter sich. Dort im Schrank liegen nämlich immer frische Zahnbürsten. Sie schiebt sich die Zahnbürste in die Kehle, kitzelt sie in der Erwartung, de Brechreiz würde bald kommen. Aber er kommt nichts. Ihr Gesicht wird heiß und rot, ihr Herz klopft wild. Warum tut sie sich das an? Warum bloß? Sie weiß es nicht. Das einzige, worüber sie sich im Klaren ist, ist dass sie damit aufhören muss. Nicht erst in ein paar Jahren, sondern jetzt! Aber im Moment ist das ganze Essen, das einen Anschlag auf ihre zarte Figur plant, noch in ihr. Und es soll gefälligst herauskommen. Aber es geht einfach nicht mehr. Ihr Körper ist des Erbrechens müde geworden, sie eigentlich auch. Im Grunde weiß sie, was ihr fehlt und wofür das Essen als Ersatzdroge dient. Ein menschliches Grundbedürfnis soll durch ein anderes ersetzt werden. Essen statt Liebe! Ja, genau das ist der Dreh-und Angelpunkt. Sie wird damit aufhören. Nicht irgendwann, sonder jetzt sofort. Sie wird nicht weiter versuchen, das Essen, das noch in ihrem Magen ist, loszuwerden. Sie wird es behalten. Ein Fressanfall wird sie kaum zum Fettsack machen. Wenn sie es sich recht überlegt, findet sie sich bisweilen sowieso zu dünn. Also, wozu das ganze Theater. Wenn sie zu weitermachen würde, wäre ihr Körper in ein paar Jahren am Ende und ihre Seele wohl auch. Lieber nach der Liebe suchen! Und wenn sich keiner findet, der ihrer Liebe würdig ist? Nun, dann kann sie ja bei sich selbst anfangen. Selbstliebe ist schließlich der erste Schritt in ein hinsichtlich des Essens normales Leben.-