Den Lösungsweg
kann ich euch nicht sagen, denn ich glaub, der ist von Person zu Person verschieden.
Ich hatte über 20 Jahre lang Bulimie, es fing so ca. mit 15 an. Ich war, wie viele von euch, einfach etwas stärker als die anderen in meiner Klasse. Vielleicht kam ich auch einfach früher in die Pubertät und verstand deshalb nicht was gerade mit meinem Körper passiert. Die anderen Mädels waren noch gross und dünn während ich klein war und Formen bekam.
Am meisten litt ich unter meinen Brüsten, die für meine Grösse (ich bin 1.60) zu der Zeit auch schon zu gross waren (zumindest fühlte ich das so) und es reichten einige Kommentare, u.a. von meiner Mutter, und ich wollte meinen Körper so nicht mehr akzeptieren.
Ich fing also mit Diäten an, konnte aber oftmals nicht widerstehen und ass Süsses. Irgendwann sah ich einen Film über ein Mädchen, das an Bulimie litt und -obwohl der Film sicherlich das Gegenteil bewirken sollte- brachte er mich dazu, mich das erste Mal zu übergeben.
So fing alles an. Ich erbrach mich immer öfter und nahm irgendwann, sehr langsam jedoch, auch ab.
Mit der Zeit wurde mein Körper auch immer schöner (zumindest in meinen Augen) und somit akzeptierte ich einfach die Tatsache, dass ich für diesen Körper erbrechen musste. Ich hatte zwar auch Angst vor Nebenwirkungen, erlernte jedoch in all den Jahren dies alles zu ignorieren. Mein Leben bestand somit aus Diäten und wenn diese nicht funktionierten, aus erbrechen. Meine Mutter war die einzige, die in den Anfängen meiner Krankheit Verdacht schoepfte und mich darauf ansprach. Jedoch hatte ich während meiner Pubertät ein sehr schwieriges Verhaeltnis zu ihr und umgekehrt und statt sich um mich zu kuemmern, machte sie mir Schuldvorwuerfe, was fuer einen Essgestoerten das Schlimmste ist.
Es gab auch nur ein einziges Mal eine Art Gespraech, Monate spaeter nochmal ein verletzender Satz zu diesem Thema und das war es. Nie wieder nur ein Wort.
Jahre spaeter, jahrzehnte spaeter, als ich mein erstes Kind geboren hatte wollte ich dieses Thema wieder ansprechen (damals war ich jedoch noch immer Bulimikerin). Jedoch wollte sie davon nichts wissen und blockte ab.
Naja, die Jahre vergingen und wenn es damals ein Forum oder ähnliches gegeben hätte, hätte ich den Absprung vielleicht früher geschafft, obwohl es sicherlich schwierig gewesen wäre, denn ich hab meine krankheit bewusst ignoriert und jegliches Thema über Esstörungen, Bulimie oder Magersucht vermieden.
Ich hatte mittlerweile einen tollen Körper (dachte ich). Ich freute mich über jede Rippe, die ich erkennen konnte, hervorstehende Hüftknochen waren in der Lage mir einen tollen tag zu bescheren. Hatte ich jedoch 300 Gramm mehr auf der Waage ging es mir schlecht, und so langsam fing es mit den Depressionen an.
Mittlerweile hatte ich sogar mein Studium geschafft, obwohl ich mich auch jetzt nicht gern an diese Zeit zurückerinnere. In meinem Kopf ging es damals nicht um mein Studium sondern um Nahrungsbeschaffung, damit, dass es niemand merkt, und um meinen Körper.
In dieser Zeit lernte ich meinen Mann kennen (der bis heute nichts von meiner Vergangenheit weiss). Ich verliebte mich in ihn und da er in einem anderen Land lebte ueberlegte ich nicht lange und zog dort hin. Ich bekam auch sofort einen tollen Job, war irgendwie ein Glueckskind - fuer alle anderen, denn mich verfolgte noch immer dieser Schatten.
Nach weiteren jahren wurde ich schwanger, und sogar in dieser Zeit konnte ich das Uebergeben nicht lassen. Ich bekam ein zweites Kind...
Und dann kam die Wende. Ich merkte mit der Zeit, dass meine Seele zerstört war. Ich hatte keine Geduld mit meinen Kindern, jegliches Kindergeheule machte mich fertig. Ich versuchte zu fliehen. gab die beiden sehr frueh in die Krippe und wollte in mein altes Leben zurueck. Arbeit, Essen, uebergeben... jedoch hatte ich die beiden und irgendwie merkte ich, dass es so nicht mehr weiter ging. Sie brauchten mich, eine Mutter, die ein Vorbild für beide sei, die ihnen zuhoeren kann, fuer sie da ist, egal ob der Po groesser ist als der der Nachbarin.
Ich hatte keine Nerven mehr, mir wurde alles zu viel, ich konnte nicht mehr. Und dann, von einem Tag auf den anderen fing ich an, mich nicht mehr zu uebergeben.
Am Anfang tat mir der Bauch unheimlich weh, ich konnte mich nicht bewegen, fand mich traege und haesslich.
Es geht auch nicht von heute auf morgen, es braucht seine Zeit und ich brauchte so ca. ein Jahr bis es mir seelisch gut ging. Aber jeder Tag mehr ist ein Gewinn und Stück für Stück entfernt man sich von der Bulimie und diesem Körper, den man damals angestrebt hat.
Ich wiege mittlerweile vielleicht 5 Kilo mehr als damals, bin aber noch immer schlank, niemand würde mich anders bezeichnen. Ich sehe Bilder von damals und weiss, dass ich mich auch in meinen duessten Zeiten als moppelig empfunden habe. Jetzt sehe ich aber, wie duenn ich damals war.
Ich bin zu einer normalen Frau "mutiert" und esse wie all die anderen nicht essgestoerten frauen. Liebe das Essen, kann alles geniessen.
Ihr seht, es gibt keinen Weg, der Weg ist nur der Wille und wartet bitte nicht zu lange. Koerperlich musste ich unter meiner Krankheit leiden. Ich habe 2 Zaehne verloren und leider auch meine Haare. Ich stehe kurz vor einer Haartransplantation.
Erschreckend war fuer mich die Tatsache, dass ich damals lieber gestorben waere als 50 Kilo mehr zu wiegen. Mittlwerweile wuerde ich gerne 50 Kilo mehr haben, dafuer aber auch meine haare wieder zurueckbekommen. Ich bin trotzdem nicht deprimiert, sondern kann mein Leben lieben. Ich freue mich, wenn die Sonne scheint, wenn meine Kinder und mein mann sagen, dass sie mich lieben.
Meiner Tochter geb ich auf den Weg, sich zu lieben, das ist das Wichtigste auf der Welt. Alles andere funktioniert von selbst. Sie meint dann nur immer:
Mama, ich find mich toll, und dich auch"
Was gibt es schoeneres ? :--)