Hallo alle Betroffenen!
Seit ich vor einer Woche angefangen habe, im Forum zu lesen und zu schreiben, komme ich vom Nachdenken nicht mehr weg. Dabei hatte ich mich schon über einige Zeit von diesen Gedanken distanziert und wirklich versucht, sie aus meinem Leben zu streichen.
Ich möchte euch so viel sagen und würde am liebsten allen helfen. Euch davor bewahren, noch tiefer reinzurutschen oder euch raushelfen. Aber egal, wieviel Erfahrung man hat meist können andere damit nichts oder nur sehr wenig anfangen.
Man hört oder liest es, versteht es mit dem Verstand aber das Bewußtsein bzw. das Unterbewußtsein sträubt sich massiv.
Es ist traurig, daß da jeder den Kampf selbst bestehen muß und ihn nicht einfach so abkürzen kann. Denn selbst mir (mit meiner eigenen Erfahrung aus über 3 Jahrzehnten) fällt es schwer, ganz loszulassen.
Ich habe sehr viel über Eßstörungen gelernt, massive Auswirkungen erlebt, Depressionen schon gehabt und neue bekommen über mein verpfuschtes Leben und bin dennoch nicht frei geworden von dem Wunsch, unnatürlich dünn zu sein.
Ich habe Bilder ausgeschnitten und bei mir getragen, die fast Verhungerte oder kranke Menschen zeigten und hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen deswegen. Denn die haben wirklich und unfreiwillig gelitten und ich wollte das einfach so... Natürlich ohne mit den tatsächlichen Folgen zu kämpfen!
Es gab sogar Zeiten mit dem Wunsch, krebskrank und dadurch endlich dürr zu sein (wie bescheuert ist das denn?). Daß ich dann sterben würde, war da schon egal denn mein Leben war ja sowieso nichts wert...
Ich hätte mir gewünscht, daß es zu meiner Anfangszeit schon Internet und Foren wie diese gegeben hätte. Daß man sich mitteilen kann ist unglaublich viel wert. Auch wenn es nicht direkt helfen kann, so ist das doch besser, als viele Jahre aus Scham zu schweigen und fast zu platzen. Das bringt nur noch mehr Ohnmachtsgefühle und die lassen einen noch weiter abrutschen.
In Selbsthilfegruppen habe ich es nie lange ausgehalten. Entweder wurde man da zu sehr mit seinen Fehlern und schlimmen Gefühlen konfrontiert oder es trat Konkurrenz auf. In beiden Fällen war Hilfe damit nicht möglich.
Obwohl ich so gelitten habe und mir wirklich wünschte, daß es aufhört, war ich nicht bereit und in der Lage, Hilfe anzunehmen.
Dann kamen Zeiten, wo ich kaum noch eine Wahl hatte und trotz Sträuben in die Klinik musste, da mir die Krankenkasse mit Zwangseinweisung gedroht hatte. Es war noch etwas Stolz da, um das nicht zuzulassen und eine Wahl bei der Klinik zu haben.
Ich war verrückt genug, zu glauben, daß mir die Therapie die Kraft geben könnte, noch mehr abzunehmen. Meine Therapeutin sollte mir helfen, meine Schwäche zu besiegen. Sie ist so ausgerastet, daß sie zum Chefarzt beichten ging und sich später bei mir entschuldigte. Das hat mir kurz die Augen geöffnet, was ich da eigentlich tue... Leider nur kurz aber bis heute in der Erinnerung präsent als Aha - Erlebnis.
Ich war nicht in der Lage, die Eßstörung aufzugeben. Einfach normal essen die Angst vor Kontrollverlust war zu groß. Kein Wunder bei dem Hunger...
Dann hat mal wieder die Symptomatik gewechselt und das andere Extrem begann kein Stoppen mehr möglich! Zu den Selbstmordgedanken kam dann noch SVV.
Ich war so ein Wrack! Ich hatte (im Nachhinein erst erkannt) solche Angst vor mir selbst. Ich wollte mich nicht kennenlernen. Ich hatte Angst vor meinen Gedanken, wenn die nicht mehr dauerhaft um Essen, Nichtessen, Brechen, Abnehmen kreisen. Ich hatte Angst, es kommt noch schlimmer und dann MUSS ich mich umbringen auch, wenn ich dann vielleicht eigentlich schon hätte leben wollen.
Es brauchte noch mehrere Therapieversuche, bevor es langsam besser wurde und ich mit einem höheren Gewicht halbwegs klarkam.
Das wurde dann zu Übergewicht, zeitweise Adipositas - was ich damals sehr gruselig fand!
ABER: weil die Therapien was gebracht haben, war ich damit zwar nicht glücklich, aber auch nicht soo unglücklich, daß ich es wieder hätte mit Gewalt ändern müssen.
Im Gegenteil: ich fing an, es fast zu genießen, daß mir Essen keine große Angst mehr macht. Ich war stolz darauf, mich bewußt gegen das Brechen zu entscheiden. Das habe ich mir als unglaubliche Stärke angerechnet.
Der Preis war das hohe Gewicht aber ich wollte den ganzen Streß einfach nicht mehr. Obwohl ich meinen Körper hasste, konnte ich mich dann langsam mehr mit anderen Dingen beschäftigen und habe so einiges über mich gelernt, was gar nicht so schlecht ist.
Meine Freunde sind geblieben. Niemand (auch nicht neue Leute) hat ein Problem mit meinem Gewicht. Es ist für sie einfach nicht so wichtig.
Viele Jahre habe ich immer wieder versucht, mich von der Körpermasse zu befreien. Durch falsches Anpacken (Verfall in alte Methoden) ist es natürlich schiefgegangen. 20, 30, 40 Kilo und mehr runter, mehr rauf, wieder runter, noch mehr rauf... Die schlimmste Schwankung war fast 70 Kilo!!!
Doch 2012 habe ich etwas begriffen:
Meine Freunde mögen mich egal mit welchem Gewicht.
Denn ich bin um nur einiges zu nennen - freundlich und hilfsbereit, handwerklich begabt, musikalisch und kreativ. Ich liebe meine Tiere und bin gnadenlos ehrlich. Ich bin sehr emotional, mitfühlend, tolerant - manchmal aufbrausend, manchmal faul... Es muß nicht alles gut sein.
DAS BIN ICH NICHT DIE ZAHL AUF DER WAAGE!
Und wie durch ein Wunder war ich auf einmal in der Lage, VERNÜNFTIGER abzunehmen. Keine Hungerkuren! Deutlich weniger Rückfallgefahr und wenn was schiefgeht: keine Panik, die alles kaputtmacht. Neuer Tag neuer Versuch...
Mein Wunschtraum wäre zwar: KEINE Probleme mehr in irgendeiner Form beim Essen und mit meinem Körpergewicht zu haben aber das ist wohl Illusion nach dieser Karriere.
Ich habe mich seit dem Frühling von 25 Kilo befreit und habe noch Kraft, es langsam in den normalen Bereich zu schaffen. LANGSAM und NORMAL sind in diesem Satz die wichtigen Worte!
Das bewahrt mich aber nicht dauerhaft davor, in alte Zeiten abzurutschen. Auch wenn es im Moment eine Besserung gibt: meine Eßstörung bleibt präsent und latent gefährlich. Vor allem das Dürrsein ist bei mir immer noch im Kopf. Doch oft bleibt es eingesperrt, da ich es nicht zulassen möchte, daß es mir erneut mein Leben hier draußen versaut. Ich habe schon so viel verloren...
Auch wenn das nach wie vor bedeutet: Jeden Tag gegen die bösen Geister zu kämpfen, die mal so und mal so zuschlagen! Und der Erfolg momentan zeigt mir, daß ich es zur Zeit richtig mache.
Ich wünsche euch allen viel Kraft, den Kampf für ein normales Leben nicht aufzugeben und irgendwann zu gewinnen. Wenn man nicht wirklich gewinnen kann, ist eine Verbesserung (Erleichterung) auch ein lohnendes Ziel. Es kann lange dauern und Veränderungen merkt man nicht immer gleich.
Verlangt keine UNMENSCHLICHEN Dinge von euch - es gibt so vieles, was man verpaßt, weil man keine Kraft mehr übrig hat. Das ist es einfach nicht wert!